Fami­li­en­nach­zug: Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin ver­pflich­tet Deutsch­land zu Visumserteilung 

Das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin hat erst­mals die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land dazu ver­pflich­tet, einer syri­schen Fami­lie ein Visum zum Fami­li­en­nach­zug zu ihrem 16-jäh­ri­gen Sohn zu ertei­len, der in Deutsch­land den sub­si­diä­ren Schutz erhal­ten hat­te (VG Ber­lin, Urteil vom 7. Novem­ber 2017, VG 36 K 92.17 V). Der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten wur­de von März 2016 bis März 2018 aus­ge­setzt. Das Ver­fah­ren wird beglei­tet von JUMEN e.V. – Juris­ti­sche Men­schen­rechts­ar­beit in Deutsch­land und unter­stützt durch den Rechts­hil­fe­fonds des Bun­des­fach­ver­ban­des unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge e.V..

Geklagt hat­ten eine Fami­lie aus Damas­kus, Syri­en. Ihr Sohn war 2015 aus Syri­en geflo­hen und über die Bal­kan­rou­te nach Deutsch­land ein­ge­reist. Im Juni 2016 erhielt er den sub­si­diä­ren Schutz. Er lebt in einer betreu­ten Woh­nung für min­der­jäh­ri­ge Geflüch­te­te und ist wegen der Tren­nung von sei­ner Fami­lie psy­chisch stark belas­tet. Sei­ne schu­li­sche und sozia­le Inte­gra­ti­on gestal­tet sich ohne die Fami­lie schwie­rig. Die Eltern und Geschwis­ter leben noch in Syri­en. Ihre im Febru­ar 2017 ein­ge­reich­te Kla­ge hat­te nun vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin Erfolg: Das Gericht sah ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Aus­wär­ti­gen Amtes einen Här­te­fall nach § 22 Auf­en­thG begründet.

JUMEN-Geschäfts­füh­re­rin Adria­na Kess­ler begrüßt die Ent­schei­dung: „Im Ergeb­nis ist das Urteil ein Erfolg. Erst­mals wur­den das Recht auf Fami­lie und das Kin­des­wohl über eine ver­fas­sungs- und men­schen­rechts­kon­for­me Aus­le­gung des § 22 Auf­en­thG gewahrt. Das Urteil ist damit auch für alle ande­ren geflüch­te­ten Fami­li­en wich­tig, die den lan­gen und müh­sa­men Weg einer Kla­ge oft nicht schaffen.“

„Für die Fami­lie ist das Urteil wich­tig, damit sie end­lich wie­der zusam­men und in Sicher­heit leben kön­nen“, sagt Rechts­an­wäl­tin Sig­run Krau­se, die die Fami­lie anwalt­lich ver­tritt. „Das Urteil liegt uns seit einer Woche vor. Wir müs­sen nun abwar­ten, ob das Aus­wär­ti­ge Amt in Beru­fung geht. Für die Fami­lie hie­ße das lei­der wei­te­res Warten.“

Der Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten wur­de gesetz­lich im Rah­men des Asyl­pa­kets II aus­ge­setzt. Auf Kri­tik an der pau­scha­len Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs wird regel­mä­ßig ent­geg­net, dass eine Här­te­fall­re­ge­lung nach § 22 Auf­en­thG mög­lich sei. Wegen einer sehr restrik­ti­ven und wenig trans­pa­ren­ten Anwen­dungs­pra­xis wur­den jedoch bis­lang erst 66 Visa für Här­te­fäl­le nach § 22 Auf­en­thG erteilt (Stand: Dezem­ber 2017).

Die­ser Anwen­dungs­pra­xis erteilt das Ver­wal­tungs­ge­richt nun eine Absa­ge. Ins­be­son­de­re müss­ten auch Umstän­de der in Deutsch­land leben­den Per­son mit berück­sich­tigt wer­den. Dabei bezieht sich das Ver­wal­tungs­ge­richt auf die kürz­lich ergan­ge­ne Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 11. Okto­ber 2017 (2 BvR 1758/17). Bei der Situa­ti­on des 16-Jäh­ri­gen berück­sich­tig­te das Ver­wal­tungs­ge­richt z.B. psy­cho­lo­gi­sche Attes­te sowie des­sen schwie­ri­ge Wohn- und Betreu­ungs­si­tua­ti­on. Das Kin­des­wohl des Min­der­jäh­ri­gen sei akut gefähr­det. Eine zeit­na­he Wie­der­her­stel­lung der Fami­li­en­ein­heit im Bun­des­ge­biet vor März 2018 sei daher zwin­gend geboten.