Walid, 17 Jah­re, Afghanistan

Fall 08 – Walid

Walids* Vater flieht 2015 aus Afgha­ni­stan und erreicht Deutsch­land. Sei­ne Frau und vier Kin­der (damals 3, 11, 16 und 21 Jah­re alt) blei­ben in Afgha­ni­stan zurück und bean­tra­gen den Fami­li­en­nach­zug. Nach zwei Jah­ren wer­den Visa für sei­ne Frau und die zwei min­der­jäh­ri­gen Töch­ter aus­ge­stellt. Walid ist inzwi­schen voll­jäh­rig und erhält eben­so wie sein älte­rer Bru­der kein Visum. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin lehnt einen Här­te­fall ab. JUMEN beglei­tet das Ver­fah­ren zusam­men mit der Koope­ra­ti­ons­an­wäl­tin Niz­aqe­te Bislimi-Hošo.

Walid klagt auf Nach­zug zu sei­nen Eltern und Geschwistern

Walids Vater wur­de in Afgha­ni­stan ent­führt und muss­te wie­der frei­ge­kauft wer­den. Über die kon­kre­ten Umstän­de kön­nen wir hier nicht berich­ten. 2016 flüch­te­te er und gelang­te nach Deutsch­land. Im Febru­ar 2016 bean­trag­te er Asyl und erhielt im Mai 2016 den sub­si­diä­ren Schutz. Zu die­sem Zeit­punkt war gera­de der Fami­li­en­nach­zug per Gesetz aus­ge­setzt wor­den. Die Fami­lie stell­te im Sep­tem­ber 2016 einen Vis­ums­an­trag bei der Bot­schaft in Kabul; Walid ist da 17 Jah­re alt. Ohne Reak­ti­on. Im Juli 2017 wur­de mit Unter­stüt­zung von JUMEN Kla­ge vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin mit dem Argu­ment erho­ben, dass eine pau­scha­le Aus­set­zung ver­fas­sungs­wid­rig sei. Das Gericht ent­schied nicht. Die Fami­lie wartete.

Im März 2019 erhielt die Fami­lie einen Vor­spra­che­termin bei der Bot­schaft in Islam­abad. Die Bot­schaft teil­te anschlie­ßend mit, dass die Mut­ter und die bei­den min­der­jäh­ri­gen Töch­ter ein­rei­sen könn­ten, die bei­den Söh­ne jedoch nicht, da die­se nicht mehr min­der­jäh­rig seien.

„Jetzt haben wir solan­ge gewar­tet und jetzt soll es zu spät sein?!“

Im August 2019 ent­schei­det das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin über die Kla­ge aus 2017. Es teilt die Auf­fas­sung der Bot­schaft. Als der Vis­ums­an­trag gestellt wur­de, sei Walid zwar noch min­der­jäh­rig gewe­sen. Dies sei aber nicht rele­vant, da damals der Fami­li­en­nach­zug aus­ge­schlos­sen gewe­sen sei. Auf das aktu­el­le Gesetz kön­ne Walid sich nicht beru­fen, da er nun voll­jäh­rig sei. Das Gericht sieht auch kei­nen Här­te­fall. Die vor­ge­leg­ten Attes­te aus Afgha­ni­stan sind dem Gericht nicht „hin­rei­chend kon­kret“. Doch wo sol­len bes­se­re Attes­te aus Afgha­ni­stan her­kom­men? Auch hät­ten die Söh­ne in der Bot­schaft nicht von ernst­haf­ten psy­chi­schen Stö­run­gen oder Sui­zid­ge­dan­ken gespro­chen. Doch wer erzählt das schon bei einer Botschaftsvorsprache?

Auch die Beru­fung vor dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg bleibt erfolg­los. Das Gericht ver­neint sogar die grund­sätz­li­che Bedeu­tung des Falls, obwohl die auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen zum Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten bis­her noch nie höchst­rich­ter­lich ent­schie­den wur­den. Die Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de hat Erfolg. Der Fall kommt damit doch vor das Bundesverwaltungsgericht.

JUMEN beglei­tet das Ver­fah­ren wei­ter und unter­stützt die Kla­ge von Walid. Nach dem aktu­el­len Gesetz kommt es auf die Min­der­jäh­rig­keit an, es legt jedoch nicht fest, zu wel­chem Zeit­punkt die­se vor­lie­gen muss: zum Zeit­punkt der Asyl­an­trag­stel­lung, der Vis­ums­an­trag­stel­lung oder bei Ein­rei­se der Fami­lie? Aus Sicht von JUMEN ist es nicht mit dem Kin­des­wohl sowie dem grund- und men­schen­recht­lich ver­brief­ten Recht auf Fami­lie ver­ein­bar, wenn die Ver­zö­ge­rung von Asyl- oder Visums­ver­fah­ren oder die Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs den min­der­jäh­ri­gen Antrag­stel­len­den ange­las­tet wer­den. Ähn­lich ent­schied auch der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) zuletzt im August 2022 zu meh­re­ren Fäl­len aus Deutsch­land für den Fall des Eltern­nach­zugs sowie des Kin­der­nach­zugs. Die Fäl­le betra­fen aller­dings nur Fami­li­en mit Flücht­lings­sta­tus. Offen ist, ob die Argu­men­ta­ti­on des EuGH auch auf sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te über­trag­bar ist.

Walid möch­te stu­die­ren, er möch­te arbei­ten. Das kann er auf­grund der Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan nicht.

JUMEN beglei­tet das Ver­fah­ren zusam­men mit der Koope­ra­ti­ons­an­wäl­tin Niz­aqe­te Bislimi-Hošo.

Am 8. Dezem­ber 2022, 10:00 Uhr, 1C 56.20 u.a. fin­det die münd­li­che Ver­hand­lung vor dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt statt. Der Ter­min ist öffent­lich. Eine Anmel­dung ist hier möglich.

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*Name geän­dert zum Schutz der Person

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