Adil, 16 Jahre, aus Syrien
Fall 09 – Adil
Adil* ist mit 13 Jahren aus Syrien geflohen. 2015 erreicht der 16-Jährige Deutschland. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder dürfen bislang nicht nachkommen. Adil ist inzwischen volljährig. Ein Härtefall wurde auch abgelehnt. JUMEN begleitet das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin zusammen mit der Koooperationsanwältin Sigrun Krause.
Seine Eltern und sein kleiner Bruder klagen auf Familiennachzug
Adil und seine Familie stammen aus Syrien. Adil ist 13 Jahre alt, als er nach einem Streit auf der Straße zusammen mit seinen Freunden verhaftet wird. Sie erleben Schreckliches in Haft und ihnen droht die Hinrichtung. Adils Eltern verkaufen alles und können ihren Sohn freikaufen. Seine Freunde bleiben in Haft. Sofort flüchtet Adil zu seinem Bruder in die Türkei. Seine Eltern hat er seitdem nicht mehr gesehen. In der Türkei beginnen seine Lähmungen am ganzen Körper. Niemand kann ihm helfen. Er muss für die Miete und etwas zu essen arbeiten. Nach drei Jahren beschließen die Brüder weiter zu fliehen und gelangen nach Deutschland.
Im Oktober 2015 stellt der inzwischen 16-jährige Adil einen Asylantrag und kommt in einer Wohngemeinschaft einer Jugendeinrichtung unter. Die Lähmungserscheinungen bleiben. Sie dauern manchmal bis zu acht Stunden. In der Zeit kann sich Adil nicht bewegen. Er kann dann nicht in die Schule gehen und hat ständig Angst, dass die Lähmungen plötzlich auftauchen. Nachts hat er Alpträume, von den Misshandlungen in der Haft oder er träumt von seiner Familie. Er ist in therapeutischer und fachärztlicher Behandlung. Die Diagnose lautet Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Dissoziative Bewegungsstörung, eine psychische Erkrankung die selten auftritt und kaum erforscht ist.
Trotz seiner Geschichte bekommt Adil 2016 nur den subsidiären Schutz. Über die Klage dagegen hat das Gericht bis heute nicht entschieden. Adil möchte, dass seine Eltern und sein jüngerer Bruder nachkommen, aber der Familiennachzug wurde ausgesetzt. Sein Vormund stellt im Januar 2017 einen Härtefallantrag bei allen möglichen Behörden. Niemand reagiert.
Die Betreuer und die Psychologin wenden sich Ende 2017 an JUMEN. Es wird ein neuer Antrag gestellt. Das Auswärtige Amt reagiert erst, nachdem der Familiennachzug im August 2018 wieder ermöglicht wird. Es weist die Familie darauf hin, dass Adil nun volljährig und der Familiennachzug nicht mehr möglich ist. Einen Härtefall prüft die Behörde nicht, sondern fordert die Familie auf, einen Termin zur Vorsprache zu buchen. Erst nach mehreren Nachfragen von JUMEN und nachdem der Vater Ende 2018 in Syrien verhaftet wird, reagiert das Auswärtige Amt und erteilt der Familie im Februar 2019 einen Sondertermin zur Vorsprache bei der Botschaft in Beirut. Kurz davor kann auch der Vater freigekauft werden. Für Adil ist die Nachricht von der Haft des Vaters niederschmetternd. Seine Lähmungserscheinungen werden immer schlimmer. Er muss die Schule abbrechen.
Lange erhält die Ausländerbehörde, die ebenso an dem Verfahren beteiligt ist, keine Akte von der Botschaft. Als diese schließlich eintrifft, steht im Aktenvermerk: kein Härtefall! Die Haft des Vaters und die Lähmungserscheinungen werden darin nicht erwähnt. Adil habe eine PTBS, die viele aus Syrien hätten. Auch sei Adil gut betreut und in Behandlung. Zudem sei er volljährig. Nach Drängen der JUMEN-Kooperationsanwältin erhält die Familie plötzlich einen neuen Vorsprachetermin, zu dem sie ihre Pässe mitbringen soll. Der Weg nach Beirut ist zu diesem Zeitpunkt zu gefährlich. Ein Freund geht für sie zur Botschaft. Dort erhalten sie eine Ablehnung. Die Familie ist enttäuscht.
Mit Unterstützung von JUMEN erhebt die Familie von Adil in November 2019 Klage beim Verwaltungsgericht Berlin. Zu diesem Zeitpunkt hat Adil seine Eltern und seinen kleinen Bruder seit sieben Jahren nicht mehr gesehen.
JUMEN begleitet das Verfahren zusammen mit der Kooperationsanwältin Sigrun Krause.
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*Name geändert zum Schutz der Person