Familiennachzug zu subsidiär Geschützten
JUMEN arbeitet seit 2016 zum Thema Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten und dem Recht auf Familie.
Von März 2016 bis Ende Juli 2018 war der Familiennachzug zu Geflüchteten mit subsidiärem Schutzstatus für über zwei Jahre pauschal ausgesetzt. Seit August 2018 ist der Familiennachzug wieder möglich – allerdings nur eingeschränkt.
Seit August 2018 analysieren wir die Praxis des Nachzugsverfahrens.
In dem ausführlichen rechtlichen Gutachten „Zerrissene Familien – Praxisbericht und Rechtsgutachten zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten“ von März 2021 zeigen JUMEN und Pro Asyl die praktischen Probleme und die Verfassungswidrigkeit der aktuellen Regelung auf.
Außerdem begleiten wir Familien vor Gericht, bei denen eine Einreise nicht möglich ist, weil die Kinder, die nachziehen wollen oder welche auf ihre Eltern warten, während der Aussetzung volljährig geworden sind (Fall 8 und Fall 9).
Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 8, Absatz 1
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens […].
Vor August 2018
JUMEN hat gegen die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, der von März 2016 bis August 2018 galt, Klagen und Visaverfahren von acht Familien mit finanzieller Unterstützung durch die Rechtshilfefonds des Bundesfachverbandes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. (BumF) und von PRO ASYL begleitet und koordiniert (Fall 1, Fall 2, Fall 3, Fall 4, Fall 5, Fall 6 und Fall 7).
Unser Ziel war es, die Aussetzung zu beenden, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Aussetzung zu thematisieren und Familien zu empowern, vor Gericht ihr Recht auf Familie einzuklagen.
Seit August 2018
Seit dem 1. August 2018 ist der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten wieder möglich – allerdings nur noch eingeschränkt. Es besteht kein Anspruch mehr, sondern ein Visum kann aus humanitären Gründen, wie der Dauer der Trennung, Erkrankung oder wenn minderjährige Kinder betroffen sind, erteilt werden. Zudem stehen nur 1000 Visa pro Monat zur Verfügung.
Seit August 2018 analysieren wir das Verfahren und haben die Ergebnisse zusammen mit Pro Asyl in dem Gutachten „Zerrissene Familien – Praxisbericht und Rechtsgutachten zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten“ im März 2021 veröffentlicht. Das Fazit ist bitter: Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention, EU-Grundrechte-Charta und UN-Kinderrechtskonvention werden durch die Neuregelung verletzt. Die betroffenen Familien werden von den jahrelangen Wartezeiten bei den Botschaften, aber auch im weiteren Verfahren bei den Ausländerbehörden zermürbt.
Außerdem begleiten wir in zwei Fällen Familien vor Gericht, deren Kinder während der Aussetzung des Familiennachzugs volljährig geworden sind. Hier ist eine höchstrichterliche Klärung notwendig, da aktuell die Eltern beziehungsweise die Kindern nicht einreisen dürfen (Fall 8 und Fall 9).
Hintergrund
Subsidiär Schutzberechtigt sind Menschen denen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Das sind beispielsweise die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines Bürgerkrieges. Die meisten Menschen, die in Deutschland subsidiärem Schutz erhalten, kommen aktuell aus Syrien, Irak, Afghanistan oder Eritrea.
Hintergrund: Subsidär Schutzberechtigte
Der Subsidiäre Schutz wurde vom europäischen Gesetzgeber 2004 mit der Asylverfahrensrichtlinie eingeführt. Denn die seit 1951 international geltende Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hatte Schutzlücken, die geschlossen werden sollten. Grundlage war die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach dem europäischen Gesetzgeber sollten subsidiär Schutzberechtigte Anerkannten nach der GFK gleich gestellt werden. Bis 2015 nahm der deutsche Gesetzgeber dies auch schrittweise vor. So galten im Familiennachzug im August 2015 für subsidiär Schutzberechtigte die gleichen Rechte wie für Anerkannte nach der GFK. Mit den sogenannten Asylpaketen und weiteren Asylrechtsverschärfungen wurde der subsidiäre Schutz nach 2015 immer weiter geschwächt und als „eingeschränkter“ Schutz bezeichnet.
Viele Familien aus den Krisenregionen werden aufgrund der Flucht getrennt – z.B., weil Bürgerkriegszustände Chaos verursachen, weil die Flucht teuer ist und sich viele Familien diese nur schrittweise leisten können oder weil manche Familienmitglieder körperlich nicht in der Lage sind den oftmals lebensgefährlichen Weg anzutreten. Fakt ist, die Trennung nimmt keine Familie leichtfertig in Kauf.
Viele subsidiär Schutzberechtigte in Deutschland warten schon seit 2015 darauf, dass ihre Familien kommen dürfen. Auch Kinder sind ungeachtet ihres Alters oder psychischen Zustandes davon betroffen. Sie trifft die einschränkende Regelung für den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten besonders hart. Kinder, die während der Zeit der Aussetzung des Familiennachzugs volljährig wurden, können sich nach der aktuellen Behördenpraxis nicht auf die Neuregelung berufen und sind vom Familiennachzug ausgeschlossen.