Gewalt gegen Frauen

Seit 2016 arbei­tet JUMEN zum The­ma Gewalt gegen Frau­en. Aus der Pra­xis wird immer wie­der berich­tet, dass Frau­en sexua­li­sier­te Gewalt nicht zur Anzei­ge brin­gen oder eine bereits erstat­te­te Anzei­ge zurück­zie­hen. Die Grün­de hier­für sind viel­fäl­tig. Frau­en berich­ten u.a. von Ängs­ten, man wer­de ihnen nicht glau­ben, oder es kön­ne eine Täter-Opfer-Umkehr statt­fin­den. Eine Rol­le spielt auch die Art und Wei­se der Jus­tiz­ver­fah­ren, in denen gewalt­be­trof­fe­ne Per­so­nen häu­fig ein zwei­tes Mal einer Ver­let­zung aus­ge­setzt wer­den, die zu einer Ret­rau­ma­ti­sie­rung füh­ren kann.

Denn auch Gerich­te sind nicht frei von Vor­ur­tei­len und vor­ge­fass­ten Ein­stel­lun­gen, was dazu führt, dass unhin­ter­fragt und unre­flek­tiert Dis­kri­mi­nie­run­gen und Ste­reo­ty­pe ver­fes­tigt wer­den. Bis heu­te sind straf­recht­li­che Ver­fah­ren zu sexua­li­sier­ter Gewalt in Deutsch­land gespickt mit Gen­der­ste­reo­ty­pen und Ver­ge­wal­ti­gungs­my­then, die den glei­chen Zugang zum Recht verhindern.

Um eine Per­p­etu­ie­rung der Gewalt zu ver­hin­dern und die Gewalt­spi­ra­le zu unter­bre­chen, ist es essen­ti­ell, Vor­ur­tei­le und Zuschrei­bun­gen auf­grund des Geschlechts auf­zu­bre­chen. Frau­en müs­sen sich in Straf­ver­fah­ren wegen sexua­li­sier­ter Gewalt auf ein Jus­tiz­sys­tem ver­las­sen kön­nen, das vor­ur­teils­frei handelt.

Gewalt­be­trof­fe­ne Frau­en zu unter­stüt­zen, statt ihnen den juris­ti­schen Weg zu erschwe­ren, ist Vor­aus­set­zung für eine geschlech­ter­ge­rech­te Gesellschaft.

Mit den men­schen­recht­li­chen Inter­ven­tio­nen und stra­te­gi­scher Pro­zess­füh­rung arbei­tet JUMEN am Errei­chen die­ses Ziels mit.

Fak­ten­check

33 % aller Frau­en in Deutsch­land haben seit dem 15. Lebens­jahr kör­per­li­che und/oder sexua­li­sier­te Gewalt erfah­ren. Damit liegt Deutsch­land im euro­päi­schen Ver­gleich knapp über dem Durch­schnitt. Gleich­zei­tig zei­gen nur 5–15 % der Frau­en*, die eine Ver­ge­wal­ti­gung erlebt haben, die­se an. Weni­ger als 10 % der ange­zeig­ten Tat­ver­däch­tig­ten wer­den verurteilt.

Die Pro­jekt­pha­sen:

1. Pro­blem­ana­ly­se: Prozessbeobachtung

Um uns dem The­ma zu nähern, began­nen wir das Pro­jekt mit einem Pra­xis-Work­shop mit Rechtsanwält*innen, psy­cho­so­zia­len Prozessbegleiter*innen und Sozialarbeiter*innen. Dar­auf auf­bau­end haben wir mit zwei Stu­die­ren­den der Hum­boldt Law Cli­nic Grund- und Men­schen­rech­te (HLCMR) und dem bff – Bun­des­ver­band Frau­en­be­ra­tungs­stel­len und Frau­en­not­ru­fe zwei Sexu­al­straf­ver­fah­ren vor Gericht in Ber­lin beob­ach­tet und doku­men­tiert, an wel­chen kon­kre­ten Momen­ten der Ver­fah­ren Vor­ur­tei­le und Frau­en dis­kri­mi­nie­ren­de Ste­reo­ty­pe auf­tra­ten. Die Doku­men­ta­ti­on haben wir im Anschluss mit den Stu­die­ren­den aus­ge­wer­tet. Wäh­rend der Pro­zess­be­ob­ach­tung zeig­te sich, wie klas­si­sche Vor­stel­lung und Ide­al­ty­pe zum ver­meint­lich rich­ti­gen Ver­hal­ten von Frau­en im Pro­zess eine Rol­le spie­len. Vor­ge­fass­te Ein­stel­lun­gen zum Bei­spiel zu „ange­mes­se­ner“ Klei­dung, ihrem sexu­el­len Vor­le­ben oder wie Frau­en auf Gewalt zu reagie­ren haben, wur­den im Pro­zess offenbar.

Arti­kel 1 All­ge­mei­ne Erklä­rung der Menschenrechte

Alle Men­schen sind frei und gleich an Wür­de und Rech­ten geboren.

2. Men­schen­recht­li­che Ana­ly­se: Bewer­tung von Gen­der­ste­reo­ty­pen in Sexualstrafverfahren

In einem zwei­ten Schritt haben wir mit zwei Stu­die­ren­den der HLCMR und in Koope­ra­ti­on mit dem bff die völ­ker­recht­li­chen Grund­la­gen zu dem The­ma ana­ly­siert. Der Fokus lag dabei auf der UN-Frau­en­rechts­kon­ven­ti­on (CEDAW), der Kon­ven­ti­on des Euro­pa­ra­tes zur Ver­hü­tung und Bekämp­fung von Gewalt gegen Frau­en und häus­li­cher Gewalt (Istan­bul-Kon­ven­ti­on). Dane­ben haben wir aus­ge­wähl­te Recht­spre­chung des CEDAW-Aus­schus­ses und des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) ana­ly­siert, die Aus­sa­gen zu Gen­der­ste­reo­ty­pen in der Jus­tiz treffen.

Sowohl CEDAW, als auch die Istan­bul-Kon­ven­ti­on hal­ten hilf­rei­che recht­li­che Argu­men­ta­tio­nen bereit, um Gen­der­ste­reo­ty­pi­sie­run­gen in Sexu­al­straf­ver­fah­ren als Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen einzuordnen.

Arti­kel 15 Absatz 1 Istanbul-Konvention

Die Ver­trags­par­tei­en schaf­fen für Ange­hö­ri­ge der Berufs­grup­pen, die mit Opfern oder Tätern von […] Gewalt­ta­ten [gegen Frau­en] zu tun haben, ein Ange­bot an geeig­ne­ten Aus- und Fort­bil­dungs­maß­nah­men zur Ver­hü­tung und Auf­de­ckung sol­cher Gewalt, zur Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern, zu den Bedürf­nis­sen und Rech­ten der Opfer sowie zu Wegen zur Ver­hin­de­rung der sekun­dä­ren Viktimisierung […].

3. Lösungs­an­sät­ze: Aus- und Fort­bil­dung von Strafrichter*innen in Deutschland

Pro­blem­ana­ly­se und der juris­ti­schen Aus­ar­bei­tung kon­zen­trier­ten wir uns auf mög­li­che Lösungs­an­sät­ze. Der Fokus lag dabei auf dem The­ma Aus- und Fort­bil­dung von Strafrichter*innen in Deutsch­land zum The­ma Gewalt gegen Frauen.

Zwei Stu­die­ren­de der HLCMR erar­bei­te­ten dazu mit Unter­stüt­zung von JUMEN ein Paper, das auf­zeigt, wel­ches Wis­sen wich­tig ist, um Gen­der­ste­reo­ty­pi­sie­rung in Sexu­al­straf­ver­fah­ren zu ver­mei­den und war­um das men­schen­recht­lich gebo­ten ist.

4. Unter­stüt­zung der Neben­kla­ge: Handreichungen

Im aktu­el­len Pro­jekt „Unter­stüt­zung der Neben­kla­ge durch Hand­rei­chun­gen“ knüp­fen wir an unse­re vor­he­ri­gen Beob­ach­tun­gen und Ana­ly­sen zu Gen­der­ste­reo­ty­pen und Ver­ge­wal­ti­gungs­my­then in Sexu­al­straf­ver­fah­ren an. Basie­rend auf unse­ren Aus­ar­bei­tun­gen rich­ten wir unse­ren Fokus nach der Strafrichter*innenschaft nun auf die Neben­kla­ge. Hier stellt sich die Fra­ge, wie die Neben­kla­ge­ver­tre­tung Gen­der­ste­reo­ty­pen, die Ein­fluss auf das Ver­fah­ren zu neh­men dro­hen, wirk­sam ent­ge­gen­wir­ken kann. Ziel ist es, auch aus der Per­spek­ti­ve der Anwält*innenschaft eine effek­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­se an die Bekämp­fung von Gen­der­ste­reo­ty­pen in Sexu­al­straf­ver­fah­ren auszuarbeiten.

In Zusam­men­ar­beit mit Stu­die­ren­den der HLCMR und Kooperationsanwält*innen wer­den zur­zeit Hand­rei­chun­gen für die Neben­kla­ge­ver­tre­tung ent­wi­ckelt. Mit kon­kre­ten Bezü­gen zum Straf­pro­zess­recht und inter­na­tio­na­len Vor­ga­ben, wie der Istan­bul-Kon­ven­ti­on und der UN-Frau­en­rechts­kon­ven­ti­on (CEDAW), sol­len die­se Hand­rei­chun­gen als Argu­men­ta­ti­ons­grund­la­ge und Hil­fe­stel­lung in Pro­zes­sen die­nen, wenn Gen­der­ste­reo­ty­pe und Ver­ge­wal­ti­gungs­my­then vor­ge­bracht wer­den und dro­hen die Pro­zes­se zu beein­flus­sen. Die Hand­rei­chun­gen sol­len damit in der Pra­xis direk­te Anwen­dung fin­den und für die Neben­kla­ge­ver­tre­tung ein effek­ti­ves Instru­ment darstellen.

5. Stra­te­gi­sche Pro­zess­füh­rung: Femi­zi­de in Deutschland 

Aktu­ell arbei­ten wir außer­dem – auf­bau­end auf unse­rer bis­he­ri­gen Arbeit – zu dem The­ma Femi­zi­de. Im Rah­men des­sen prü­fen wir die Mög­lich­keit, staat­li­ches pflicht­wid­ri­ges Unter­las­sen im Vor­feld eines Femi­zi­d­es gericht­lich fest­stel­len zu las­sen und somit staat­li­che Stel­len in die Pflicht zu nehmen.

Femi­zi­de sind Tötun­gen von Frau­en auf­grund ihres Geschlechts, d.h. Frau­en wer­den getö­tet, weil sie Frau­en sind. In Deutsch­land ist durch­schnitt­lich jeden Tag eine Frau von einem ver­such­ten oder voll­ende­ten Tötungs­de­likt durch ihren Part­ner oder Ex-Part­ner betrof­fen. Jeden drit­ten Tag stirbt dabei eine Frau. Beson­ders gefähr­det sind Frau­en dabei in Tren­nungs­si­tua­tio­nen. Sol­che Tren­nungs­tö­tun­gen sind als Femi­zi­de ein­zu­ord­nen. Die Täter geste­hen dabei den Frau­en nicht zu, ein selbst­be­stimm­tes Leben zu füh­ren, sodass die Taten Aus­druck eines patri­ar­cha­len Besitz­an­spruchs sind.

Wir set­zen uns aktu­ell mit juris­ti­schen Hand­lungs­op­tio­nen aus­ein­an­der und ent­wi­ckeln Stra­te­gien, um Deutsch­land in die Pflicht zu neh­men. Denn Deutsch­land ist ver­pflich­tet, Femi­zi­de zu ver­hin­dern und die dafür erfor­der­li­chen Maß­nah­men vorzunehmen.

Genderstereotpye in der Justiz

Illus­tra­ti­on von Kin­ga Dar­sow im Rah­men des Pro­jekts „Geschich­ten mit Wir­kung©Kin­ga Darsow

„Expert*innen aus der Bera­tungs­pra­xis in Deutsch­land berich­ten immer wie­der, dass Opferzeu­g­in­nen häu­fig das Gefühl haben, als Beschul­dig­te wahr­ge­nom­men zu wer­den. Statt das Ver­hal­ten des Täters zu unter­su­chen, wer­de die Ver­ant­wor­tung bei den Opferzeu­g­in­nen gesucht.“

Das Hil­fe­te­le­fon – Bera­tung und Hil­fe für Frauen

Lei­der kön­nen wir kei­ne Bera­tung oder juris­ti­sche Ver­tre­tung im Ein­zel­fall anbie­ten. Wenn Sie Unter­stüt­zung oder Bera­tung benö­ti­gen, kön­nen Sie sich an das Hil­fe­te­le­fon wenden.

Das Hil­fe­te­le­fon „Gewalt gegen Frau­en“ ist ein bun­des­wei­tes Bera­tungs­an­ge­bot für Frau­en, die Gewalt erlebt haben oder noch erle­ben. Unter der Num­mer 116 016 und via Online-Bera­tung unter­stützt das Hil­fe­te­le­fon Betrof­fe­ne aller Natio­na­li­tä­ten, mit und ohne Behin­de­rung – 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Ange­hö­ri­ge, Freun­din­nen und Freun­de sowie Fach­kräf­te wer­den anonym und kos­ten­frei beraten.